Die unterschätzte Bedeutung der Bräutigamrede

Heute haben wir einen Gastbeitrag des Hochzeitsfotografen Geza Aschoff für euch. Geza ist schon seit vielen Jahren als Hochzeitsfotograf tätig und hat einen Zusammenhang zwischen der Rede des Bräutigams und der Hochzeitsparty am Abend erkannt. „Zwischenmenschliche Momente sind ein zentrales Element meiner Bildsprache. Zudem liebe ich es, die ausgelassene Stimmung der Hochzeitsparty mit meiner Kamera einzufangen. Daher ist es mir ein Anliegen, Brautpaare an meinen Erfahrungen teilhaben zu lassen.“    

Das hört sich doch spannend an. Los geht’s:

Ich bin seit Sommer 2008 hauptberuflich Hochzeitsfotograf und habe daher bereits unzählige Bräutigamreden erlebt. Nach den ersten zwei oder drei Jahren glaubte ich, einen Zusammenhang zwischen der Art der Bräutigamrede und dem Gästeverhalten – insbesondere hinsichtlich der abendlichen Party – zu erkennen. Ich erzählte diese Vermutung meinem Assistenten, der allerdings nur unglaubwürdig mit dem Kopf schüttelte. Wir vereinbarten, diesen angedachten Zusammenhang in den kommenden Jahren gezielt zu beobachten. Nach weiteren zwei Jahren musste mein Assistent eingestehen, dass ich in rd. 90% der Fälle Recht zu haben schien. Aber bevor ich Euch nun von diesem Zusammenhang berichte, fangen wir lieber erst einmal von vorne an.

Sehr oft wird die Bräutigamrede vor dem Start des Abendessens gehalten. Das ist häufig der erste Zeitpunkt im Laufe des Hochzeitstages, der sich für eine Bräutigamrede eignet. Die Hochzeitsgesellschaft nimmt Platz und kommt etwas zur Ruhe. Gleichzeitig wird von der Gesellschaft erwartet, dass vor dem Essen einige begrüßende Worte an die Gäste gerichtet werden. Klassischer Weise wird die Bräutigamrede inhaltlich damit geschlossen, dass das Buffet eröffnet ist. 

Und weil das Buffet oder das Essen verbal eröffnet werden „muss“, ist die Bräutigamrede aus meiner Sicht nicht optional, sondern ein Teil der Hochzeit, der auf jeden Fall dazu gehört. Die Frage, die sich hinsichtlich der Bräutigamrede stellt, ist also nicht „ob“, sondern nur „wie“ sie gehalten wird.

WELCHE TYPEN VON BRÄUTIGAMREDEN GIBT ES?

Natürlich gibt es ein schier unendliches Spektrum an Möglichkeiten, wie eine Bräutigamrede gehalten werden kann. Aber letztlich kann man diese in vier Typen zusammenfassen:

Typ 1:
Der Bräutigam unterliegt irrtümlicherweise der Vorstellung, dass die Gesellschaft eine eloquent perfekte Rede erwartet und ist mit diesem Gedanken so überfordert, dass er es seiner Braut überlässt, das zu tun, was die Gesellschaft eigentlich vom Bräutigam erwartet. Mit anderen Worten: Der Bräutigam sagt gar nichts und die Braut versucht zu retten, was oft nicht mehr zu retten ist.

Typ 2:
Der Bräutigam heiratet aus Liebe zu seiner Frau, ist selbst aber gar nicht vom Heiraten überzeugt. Die Bräutigamrede könnte dann z.B in seiner Gänze wie folgt aussehen: „Das Buffet ist eröffnet.“

Typ 3:
Typ 1 und 2 sind (zumindest bei meinen Kunden) die absolute Ausnahme. Besonders oft hingegen kommt die Bräutigamrede von Typ 3 vor. Sie beinhaltet die mehrfache Wiederholung, wie sehr sich das Paar freut, dass alle da sind. Oft kombiniert mit der kurzen Vorstellung welche Gäste anwesend sind. Nach einem höflichen Applaus wird dann das Essen eröffnet.

Typ 4:
Bräutigamreden vom Typ 4 beinhalten u.a. oft die Punkte, die ich bei Typ 3 beschrieben habe. Aber das, was Typ 4 von Typ 1 bis 3 unterscheidet, ist der folgende Teil: Er beinhaltet eine persönliche und romantische Geschichte des Brautpaars, mit der der Bräutigam es schafft – und das ist das Entscheidende dabei – das Publikum auf der emotionalen Ebene abzuholen. Wenn er dann am Ende seiner Rede noch die Liebe zu seiner Frau zum Ausdruck bringt, dann haben nicht nur viele weibliche Gäste gläserne Augen, sondern es gibt auch einen großen, ehrlichen und emotionalen Applaus.

WARUM DIE REDE DES BRÄUTIGAMS AUSWIRKUNGEN AUF DIE HOCHZEITSPARTY HAT

Der Grund, weswegen eine Rede von Typ 4 so wichtig für eine Hochzeit ist, ist aber nicht der Applaus, sondern die Art und Weise, wie am Abend die Hochzeitsparty gefeiert wird.

Ich weiß, dass mag jetzt für die meisten Leser sehr seltsam und überraschend klingen, aber das ist der erstaunliche Zusammenhang, von dem ich nun nach vielen Jahren und hunderten von fotografisch begleiteten und erlebten Hochzeiten berichten möchte:

Bei Reden von Typ 1 und 2 beginnen in gefühlt 95% der Fälle die Gäste, um 22 Uhr die Hochzeitsfeier zu verlassen. Wenn nicht ein wirklich großer harter Kern von feierwütigen Freunden vorhanden ist, dann wird es mit fast an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit keine stimmungsvolle Party nach dem Eröffnungstanz geben. Und gegen 24 Uhr ist partytechnisch für den Großteil der Hochzeitsgesellschaft Schicht im Schacht.

Bei Reden von Typ 3 gilt fast dasselbe wie bei Typ 1 und 2. Die Gäste bleiben allerdings oft anstandshalber noch bis Mitternacht. Nur, wenn ein anderer Gast (z.B. Bruder oder Vater) eine außergewöhnliche Rede hält und/oder wenn man bei der Trauung z.B durch eine wegbrechende Stimme des Brautpaares emotional abgeholt worden ist und der erwähnte große harte feierwütige Kern an Freunden vorhanden ist, gibt es eine Chance auf eine tolle Party nach dem Eröffnungstanz.

Ganz anders sieht das bei Bräutigamreden vom Typ 4 aus. Hier werden die Gäste emotional abgeholt und haben das echte Gefühl, dass sie hier und jetzt an diesem Abend und auf Eurer Hochzeit etwas ganz Besonders erleben, und dass sie ein Teil von diesem ganz besonderen Abend sind.

Und jetzt kommt kausal der vielleicht entscheidende Punkt: Ich habe den Eindruck, dass die Hochzeitsgesellschaft in gewisser Weise das Brautpaar spiegelt.
Wenn also der Bräutigam bei seiner Rede Sprüche sagt wie: „Ich hatte mir zwar eigentlich etwas für meine Rede überlegt, aber ich habe jetzt doch beschlossen, mich hier kurz zu fassen….und wir freuen uns, dass alle da sind….und das Buffet ist eröffnet."… Dann kann das auch übersetzt werden mit: „Also ich dachte, meine Hochzeit ist mir wichtig, aber wenn ich so konkret drüber nachdenke, dann ist sie mir eigentlich doch nicht so wirklich wichtig.“ …Und wäre damit eine klassische Rede von Typ 3, die meist zur Folge hat, dass die Gesellschaft das Brautpaar in der Hinsicht spiegelt, die Hochzeit nicht wirklich als wichtig bzw. als ein ergreifendes Event zu empfinden. Und als Konsequenz daraus, gibt es keine gute Party, sondern vorzugsweise Gäste, die anstandshalber bis 24 Uhr bleiben und dann nach Hause gehen.

Demgegenüber steht die Bräutigamrede vom Typ 4, in der die Gesellschaft emotional als Ganzes abgeholt wird. Die Hochzeitsgesellschaft spiegelt das, indem sie das Gefühl gewinnt Teil von etwas ganz Besonderem zu werden. Nach einer solchen Rede gibt es (fast) garantiert eine stimmungsvolle Party die deutlich länger als Mitternacht dauert und für viele unvergesslich wird!

WARUM KOMMT GERADE DER BRÄUTIGAMREDE EINE SOLCHE BEDEUTUNG ZU?

Auf vielen Hochzeiten ist alles, was vor der Rede des Bräutigams passiert, klar strukturiert und durchorganisiert. Die Bräutigamrede ist oft der erste mögliche und manchmal auch der einzige Moment im Laufe einer Hochzeit, in der die Liebe des Brautpaares zu einander glaubhaft und authentisch kommuniziert werden kann. 

Abschließend gilt es noch zu bemerken, dass die Bräutigamrede keinesfalls eloquent perfekt sein muss. Das spielt tatsächlich kaum eine Rolle. Das einzig wichtige ist, dass der Bräutigam es schafft, die Hochzeitsgesellschaft auf der emotionalen Ebene abzuholen…und da kann ein Verhaspeln, ein Versprecher oder auch das Wegbrechen der Stimme oft sogar förderlich dafür sein, dass die Inhalte der Rede authentisch und echt rüberkommen.

Mein abschließendes Plädoyer an den lieben Bräutigam ist also – falls Ihr Euch eine tolle Party für Eure Hochzeit wünscht – sich im Vorfeld für die Planung der Rede ausreichend Zeit zu nehmen, und genau zu überlegen, was und wie Ihr das rüberbringen wollt….es lohnt sich so sehr für Euren großen Tag :-)

Euer Geza Aschoff